Donnerstag, 13. November 2008

Jelly Fiche - Tout Ce Que J`ai Rêvé

Kaum zu glauben, dass "Tout Ce Que J`ai Rêvé" (zu Deutsch: Alles was ich mir erträumt habe) ein Debütalbum ist - das Debüt einer Band, die sich in der Tradition von Harmonium oder Maneige sieht, zweier Bands, die in den 70er Jahren für erstklassigen Progressive Rock aus der frankokanadischen Provinz Québec standen. Auch Jelly Fiche kommen von dort, genauer gesagt aus Montréal, und sie knüpfen an, wo ihre Vorbilder aufgehört haben. Dabei haben die drei Musiker einen komplett unterschiedlichen Background: Sänger und Bassist Syd ist der Poet und zeichnet für die Texte und damit für das lyrische Element verantwortlich, Keyboarder und Saxophonist Eric Plante bringt eine Vorliebe für atmosphärische und jazzige Klänge mit, Gitarrist Jean-Francois Arsenault schließlich ist maßgeblich von Prog beeinflusst.

Das Ergebnis ist musikalisch schon verdammt ausgereift und stimmig. Gewisse Einflüsse (Pink Floyd) sind nicht zu überhören ("Les Arbres"), aber Jelly Fiche sind weit davon entfernt, ihre Vorbilder nur zu kopieren. Was soll man zuerst loben? Das feinfühlige Gitarrenspiel ("Dans La Peau d`Un Autre")? Die atmosphärischen Keyboard- und Pianoparts? Den ausdrucksstarken Gesang? Es ist alles zusammen, was die Wärme und das Träumerische ausmacht und die Musik von Jelly Fiche zu einem Ereignis. Dafür sorgt auch der wohldosierte Einsatz des Saxophons, mit dem sich die Band von anderen abhebt. Auch die französischen Texte sind ein Eigenständigkeitsmerkmal. Für den einen oder anderen mag das gewöhnungsbedürftig sein, nach einigen Durchläufen kann (und will) man sich die Musik mit englischen Lyrics aber gar nicht mehr vorstellen.

Einen Song herauszuheben - bei diesem Album ohne Schwächen schier unmöglich. Also: Durchhören und genießen! Das ist, was sich Fans dieser Art von Musik erträumt haben!
(Erstveröffentlichung im Rockmagazin "eclipsed", Nr. 107)

The Reasoning - Dark Angel

Sich eine Scheibe von The Reasoning anzuhören, ist schon allein wegen des Gesangs interessant: Rachel Cohen (ehemals Jones) wechselt sich mit Dylan Thompson und Gareth Jones ab, wodurch zunächst mal keine Langeweile aufkommt. Wer sich dann einmal durch das zweite Album der Band, "Dark Angel", gehört hat, der wird vermutlich feststellen, was ihm mehr liegt: die weiblichen oder die männlichen Gesangsparts (ich für meinen Teil kann sagen: die männlichen liegen mir mehr!). Abgesehen von dieser "Gretchenfrage" bietet "Dark Angel" von vorn bis hinten gefälligen, melodischen MelodicRock mit leichten Proganteilen und teils sehr schönem mehrstimmigem Gesang. Durchgängig hochhalten können The Reasoning, die mit Owain Roberts einen neuen zweiten Gitarristen an Bord haben, die Spannung aber nicht. Mit dem Titeltrack und "Sharp Sea" geht es zwar gut los. Den nachfolgenden Songs fehlen dann aber die eingängigen Hooklines, die sich nachhaltig ins Gedächtnis einbrennen würden. Das ist alles gut hörbar, plätschert aber etwas vor sich hin. Erst der mitreißende Neun-Minüter "A Musing Dream" zieht noch einmal alle Aufmerksamkeit auf sich und sorgt für eine am Ende gute Beurteilung - nicht zuletzt wieder ein Verdienst der Gesangsarrangements.
(Erstveröffentlichung im Rock-Magazin "eclipsed", Nr. 107)

Frost - Experiments In Mass Appeal

Ist das wirklich dieselbe Band? Sind das die gleichen Frost, die noch 2006 mit "Milliontown" ein eher unausgegorenes Debütalbum am Start hatten? Ja, sie sind es, und sie haben aus ihren Fehlern gelernt! Da ist vor allem der Gesang: Jem Godfrey, Vater des Projektes, übernimmt die Vocals nicht mehr selbst, sondern hat sich mit Declan Burke einen Sänger (und Gitarristen) ins Boot geholt, der stimmlich von zart-leise ("Saline") bis aggressiv-kraftvoll ("Experiments In Mass Appeal") alles beherrscht und von dem Godfrey sagt, er sei „der kommende Prog-Megastar“. Ansonsten ist das Line-up mit Gitarrist John Mitchell (It Bites, Kino, Arena), Ex-IQ-Bassist John Jowitt, Drummer Andy Edwards (IQ) und Godfrey (Keyboards) gleich geblieben. Die Musik klingt aber viel eigenständiger als das Debüt: Mal ist sie am besten als melodiöser ArtRock zu beschreiben, mal als Prog ("Toys", "Wonderland"), mitunter sind auch Einflüsse von Bands wie Muse ("Pocket Sun") herauszuhören. Fazit: ein wirklich starkes und abwechslungsreiches Album.
(Erstveröffentlichung im Rock-Magazin "eclipsed", Nr. 107)

Unitopia - The Garden

Australien ist ja nicht gerade als Neoprog-Hochburg bekannt. Umso erstaunlicher, dass sich dort mit Unitopia eine Band in den Vordergrund spielt, die genau auf dieser Welle reitet. Nach dem 2005 erschienenen Debütalbum "More Than A Dream" legt die siebenköpfige Band um Mark Trueack (Gesang) und Sean Timms (Keyboards) nun mit "The Garden" ein Doppelalbum vor. Das ist zwar immer noch stark im melodischen 80er-Prog verwurzelt, bietet aber trotz teils überdeutlicher Anleihen bei Genesis, Marillion oder IQ viel schöne Musik. Dass es sich bei "The Garden" um ein Konzeptwerk handelt, wird Progfans erfreuen, aber jene Kritiker bestätigen, die der Band vorwerfen, in „Mainstream-Prog“ zu verfallen. Ganz abwegig ist das nicht, dafür sind die sehr Keyboard-lastigen Kompositionen nicht sperrig genug, setzen sich die teils süßlichen Melodien zu leicht in den Gehörgängen fest ("Here I am"). Keine Widerhaken. Kein Gefrickel. Dennoch: Speziell die Longtracks "The Garden" und "Journey`s Friend" bieten wundervoll lyrische Musik, die, manchmal nahe am Kitsch, immer gerade noch die Kurve kriegt.
(Erstveröffentlichung im Rockmagazin "eclipsed", Nr. 105)

Diagonal - s/t

Eine Progband bei einem Indie-Label? Das ist ungewöhnlich, erklärt Rise Above Records aber so: "Diagonal versprühen inmitten der gleichgeschalteten 'Indie'-Sounds der Jetztzeit eine Frische, die fast an den Punk-Aufbruch vor 30 Jahren erinnert." Na ja. Diese Einschätzung ist einigermaßen übertrieben, klingt das Debüt von Diagonal doch rauf und runter wie aus den frühen Siebzigern, und das obwohl alle Bandmitglieder gerade mal Mitte 20 (!) sind. Bei so manchem Basslauf fühlt man sich an die ganz frühen Yes erinnert, den einen oder anderen Takt könnten auch Gentle Giant eingezählt haben. Immerhin beweisen die sieben Musiker aus Bristol Mut: Wer sonst wagt es schon, ein Drum-Solo in den Opener seines Debütalbums einzubauen, um gleich anschließend auf "Child of the Thunder Cloud" mit Klarinettenklängen daherzukommen? Auch Jazzanklänge enthält das Album, das fünf Songs mit knapp 46 Minuten Spielzeit enthält. Toptrack ist das 14-minütige "Pact", das 70er-Prog in all seinen Facetten bietet. Sehr eigenständig ist das zwar nicht. Trotz aller Reminiszenzen klingt das aber - und da hat Rise Above Records Recht - in der Tat erstaunlich frisch!
(Erstveröffentlichung im Rockmagazin "eclipsed", Nr. 105)