Mittwoch, 11. Februar 2009

"Ist doch ein geiler Verein!"

"Ist doch ein geiler Verein!" Nein, ausnahmsweise sind damit nicht der FC Bayern oder der VfB Stuttgart gemeint, sondern Klubs aus der Fußballprovinz. Hier, wo oft nur ein paar hundert Fans ihre Mannschaft unterstützen, hat Christoph Ruf die wahren Fußballverrückten getroffen und ihre Geschichten aufgeschrieben.

Hier, wo die Bratwurst noch das mit Lachs belegte Canapé um Längen schlägt, wo Fußball noch nach Männerschweiß riecht und ein ergattertes Spielertrikot meist noch ein Unikat ist, wird noch der ehrliche Fußball gespielt. Ohne das große Geld. Dafür mit Herzblut. Sich daran zu erfreuen, mag in Zeiten der Totalvermarktung dieses Sports unverbesserliche Sozialromantik sein. Aber seien Sie ehrlich: Macht das nicht mehr Spaß, als im Daimler-Stadion zu sitzen, wo man in der Untertürkheimer Kurve ein Fernglas braucht, um das Spiel zu sehen?

Fußball-Landkarte "ergroundhoppert"

Autor Christoph Ruf hat Klubs besucht, die von der Fußball-Landkarte Deutschlands verschwunden sind oder überhaupt nie drauf standen. Viele seiner Geschichten und Interviews, die er sich "ergroundhoppert" hat ("Groundhopper": Fans, die versuchen, so viele Fußballstadien oder "grounds" wie möglich zu besuchen), sind hochaktuell, haben sie doch mit der Strukturreform im deutschen Fußball, mit der Einführung der und den daraus resultierenden Folgen für die Vereine zu tun.

Vergilbte ruhmreiche Vergangenheit

Bekannte Klubs mit vergilbter, mehr oder weniger ruhmreicher Vergangenheit, wie der SV Waldhof Mannheim, die Stuttgarter Kickers oder der KFC Uerdingen, denen Ruf eigene Kapitel widmet, haben darunter ebenso zu leiden wie gänzlich namenlose "Underdogs". Aber wer die Geschichten über den SC Pfullendorf, den Bahlinger SC oder den Freiburger FC (bis in die 80er Jahre deutlich populärer als Stadtrivale SC) liest, der kommt nicht umhin, sie mit allen ihren Problemen und Macken sympathisch zu finden.

Brusthaar fürs Vereinsmuseum

Das Buch schafft es, Anekdoten und Kurioses aus allen Teilen der Bundesrepublik zu einer charmanten Sammlung zu vereinen, die so lesenswert wie kurios ist. Die schönsten Geschichten sind die, in denen die Menschen zu Wort kommen, die mit ihrem Verein leiden, wie sich das kein FC Bayern-Fan je vorstellen kann: Menschen wie Ivo Burmeister, der die Rettung des KFC Uerdingen zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, Thomas Traumer, der Fanartikel von Altona 93 (von wem?) sogar nach Australien verkauft oder der SpVgg-Bayreuth-Fan, der sein Brusthaar für eine Spieler-Büste im Vereinsmuseum geopfert hat.

Souflaki-Spieße am Alsenweg

Ab und zu schildert Ruf auch einfach nur das ganz normale Vereinsleben. Am altehrwürdigen Alsenweg in Mannheim hat er Dimitrios Tsionanis getroffen. Der Grieche, der als beinharter Verteidiger für den SV Waldhof 146 Erstligaspiele bestritt, führt jetzt die Vereinsgaststätte "Bei Dimi" und brät Souflaki-Spieße. Der SV Waldhof spielt inzwischen in der Regionalliga und trifft hier immerhin auch mal wieder auf Traditionsklubs wie Hessen Kassel und Darmstadt 98 statt wie zuletzt auf Schwieberdingen oder Hoffenheim II. Und ganz sicher heißt es trotz aller Sorgen um den Klub auch in Mannheim von Zeit zu Zeit: "Ist doch ein geiler Verein!"

(Christian Ruf: Ist doch ein geiler Verein - Reisen in die Fußballprovinz. 2008, erschienen im Verlag Die Werkstatt)

Montag, 9. Februar 2009

"Grammy"? Grausig!

Coldplay, Radiohead, Bruce Springsteen - ja, so könnte die Playlist eines hippen Formatradiosenders aussehen. Ist es aber nicht. Coldplay (u.a. bestes Rockalbum und bester Rocksong), Radiohead (bestes Alternative-Album) und Bruce Springsteen (bester Rocksong) heißen die Gewinner der diesjährigen "Grammy"-Verleihung in der Kategorie Rock. Ganz schön langweilig? Stimmt. Und irgendwie nicht zu verstehen. Denn 2008 wurde jede Menge gute Rockmusik produziert. Allein: Die Jury des angeblich wichtigsten Musikpreises der Welt hat diese wieder einmal ignoriert.

Vor allem Coldplay gelten als großer Gewinner des Abends. Die Band, die im vergangenen Jahr nach AC/DC die meisten Alben verkauft hat. Dass auch die Kings of Leon, Metallica, The Mars Volta, John Mayer und das Duo Robert Plant & Allison Krauss ein paar (weniger bedeutende) Kategorien gewinnen konnten, macht es nicht besser. Der "Grammy" ist zum Mainstreampreis verkommen.

Samstag, 7. Februar 2009

Jack Foster III - Jazzraptor's Secret

Jack Foster III hat also wieder den "Jazzraptor" beschworen, der schon dem vor vier Jahren erschienenen Debüt ("Evolution Of Jazzraptor") den Namen gab. Fosters Mitstreiter auf seinem inzwischen vierten Studioalbum heißen Trent Gardner (Magellan) und Robert Berry (GTR, Keith Emerson, Don Airey), womit dann auch gleich klar wäre, in welche Richtung es geht und dass der Raubvogel nicht nur im Jazzbereich wildert. Aber auch! Jazzanklänge finden sich auf einigen Tracks. Wie auf "Mandelbrot World" (Anspieltipp!) entwickeln sich aber fast alle Titel zu hochmelodischen Progsongs im Stil von Transatlantic, zu denen Rhythmus- und Stimmungswechsel genauso gehören wie gefühlvolle Soli oder hier und da eine Dosis Bombast. "Jazzraptor`s Secret" bietet stets melodiösen, druckvollen und abwechslungsreichen Prog, bei dem insbesondere das variable Keyboardspiel Gardners hervorsticht. Genauso wartet das Album aber mit starken Gitarrenparts ("Outbreak Money") und mit tollem mehrstimmigen Gesang ("God And War") auf, so dass definitiv keine Langeweile aufkommt. Vielleicht ist das ja des Jazzraptor`s (Erfolgs-) Geheimnis?!

Genesis - Nursery Cryme (Boxset 1970 - 1975)

Ein weites Feld, am Rand ein herrschaftliches Schloss: Eine Schwester spielt Croquet mit abgeschlagenen Kinderhäuptern, und niemand stört sich daran. Dieses in hellen, weichen Farben gehaltene Bild von Paul Whitehead ziert das Cover des dritten Genesis-Albums "Nursery Cryme", das auch wegen seiner minderwertigen Klangqualität gerne unterschätzt wird. Dabei hat "Nursery Cryme" in der Bandgeschichte eine zentrale Bedeutung, ist es doch das erste Album des klassischen Genesis-Lineups mit Peter Gabriel, Tony Banks, Mike Rutherford, Steve Hackett und Phil Collins.

Hackett und Collins geben hier ihren Einstand. "NC" steht damit für den Beginn der Genesis-Ära, die als die kreativste und beste der Band gilt. Whiteheads Cover - gegenüber seinem "Trespass"-Artwork noch einmal deutlich tiefgründiger und doppelbödiger - versinnbildlicht dies. Ein weiterer großer Unterschied zum Vorgänger: Die Songs auf „Trespass“ waren noch fast alle liveerprobt, die Songstrukturen standen fest. Im Studio hieß es „so sind sie eben, Kumpel, fummel jetzt nicht dran rum“, erinnert sich Mike Rutherford. „Bei den Aufnahmen zu Nursery Cryme nahmen die Songs immer noch Gestalt an und waren in ihren Arrangements und ihrem Klang noch etwas wandelbarer.“

Die Neuen steuern den von Collins gesungenen Shorttrack „For Absent Friends“ bei. Die Chefs heißen aber Gabriel und Banks: „Ich dachte, es wäre gut, mich mit Phil zusammenzutun. Klein-Collins und Hackett Junior, die den älteren, perfekten Jungs ihre Dienste anbieten“, so Hackett im Rückblick. Speziell sein Stil ist aber schon klar erkennbar, auch wenn der Fokus eindeutig auf Gabriels Gesang und Banks` Orgel liegt.
Die neue Genesis-Box offenbart jetzt ohne Soundschleier, dass „NC“ mehr zu bieten hat als nur „Fountain“ und den Bandklassiker „The Musical Box“: Die eigentliche Überraschung sind „The Return Of The Giant Hogweed“ und „Harold The Barrel“, die plötzlich transparent und druckvoll rüberkommen. Und „Seven Stones“ entfaltet erst durch die neue Technik seine ganze Pracht und Schönheit. Dass man die Texte endlich versteht, ist eine wunderbare Zugabe.